Zorn und Gewalt in der Bibel

Missverständnisse und tiefere Bedeutung

 

Die Bibel ist ein Buch, das über Jahrtausende hinweg Menschen inspiriert, geprägt, aber auch verwirrt, hat. Besonders schwierig zu verstehen sind oft die Stellen, in denen Zorn, Strafe oder Gewalt eine Rolle spielen. Viele fragen sich: Wie kann ein Gott der Liebe solche Worte verwenden?

Besonders schwer verständlich fand ich schon immer die Stellen in der Bibel, in denen Zorn, Strafe oder Gewalt eine Rolle spielen. Immer wieder habe ich mich gefragt: Wie kann ein Gott der Liebe solche Worte sagen? Oft war ich regelrecht erschrocken über diese Texte, ja, sie haben mich sogar abgeschreckt. Genau deshalb war es mir wichtig, tiefer zu verstehen, ob Gott wirklich so ist, oder ob ich die Aussagen vielleicht falsch verstanden habe.

 

Hier mal einige Beispiele:

  1. Matthäus 5, 27–30 – Radikale Worte gegen Sünde

„Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen. Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen.
Wenn dich aber dein rechtes Auge zum Bösen verführt, so reiß es aus und wirf es von dir. Es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird.
Und wenn dich deine rechte Hand zum Bösen verführt, so hau sie ab und wirf sie von dir. Es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle fährt.“
(Matthäus 5,27–30)

Was ist damit gemeint?
Diese Worte Jesu aus der Bergpredigt wirken auf den ersten Blick wirklich total erschreckend und ja, sogar abschreckend. Doch sie sind nicht wörtlich gemeint. Jesus nutzt eine Form der Übertreibung, die in der jüdischen Lehrtradition üblich war (Hyperbel), um die Dringlichkeit moralischer Reinheit zu unterstreichen. Es geht nicht um Selbstverstümmelung, sondern um die radikale innere Entscheidung, das Böse zu meiden – sogar in Gedanken. Das Auge und die Hand stehen symbolisch für das, was uns zur Sünde führt.

 

  1. Psalm 137,8–9 – Gewaltfantasien im Gebet

„Tochter Babel, du Verwüsterin, wohl dem, der dir vergilt, was du uns angetan hast!
Wohl dem, der deine Kinder nimmt und sie am Felsen zerschmettert!“
(Psalm 137,8–9)

Was ist damit gemeint?
Dieser Psalm ist ein Klagelied des Volkes Israel im babylonischen Exil und ist der Ausdruck tiefster Trauer, Verzweiflung und auch Wut über die brutale Zerstörung Jerusalems. Die Verse sollen eine menschlich-emotionale Reaktion zeigen und sie sind keine göttliche Anweisung zur Gewalt, sondern zeigen den Schmerz eines unterdrückten Volkes.

 

  1. Lukas 14,26 – Hassen, um Jesus nachzufolgen?

„Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater und seine Mutter, seine Frau und Kinder, seine Brüder und Schwestern, dazu auch sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger sein.“
(Lukas 14,26)

Was ist damit gemeint?
Eine semitische Ausdrucksweise. Das Wort „hassen“ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, jemanden emotional abzulehnen, sondern „geringer achten“. Jesus fordert eine radikale Nachfolge, selbst vor den engsten Beziehungen soll die Beziehung zu ihm Priorität haben. Es ist ein Aufruf zur Entscheidung, nicht zur Verachtung.

 

  1. Offenbarung 19,15

„Aus seinem Mund geht ein scharfes Schwert […] und er wird sie mit eisernem Stab regieren.“

Was ist damit gemeint?

Es handelt sich um eine Bildsprache für das gerechte Gericht Christi. Das „Schwert aus dem Mund“ steht für das machtvolle Wort, nicht für physische Gewalt.

Wir sollten wirklich erkennen, dass die Bibel kein durchgehend friedliches Buch. Es werden auch menschlicher Erfahrungen gezeigt, genauso wie wir sie auch kennen: Liebe, Hass, Frieden, Krieg, Trauer, Hoffnung. Manches spiegelt auch politische, gesellschaftliche, zwischenmenschliche oder kulturelle Aspekte wider, eben, aus der damaligen Zeit. Wir brauchen ein Verständnis für Kultur, die Sprache und auch die gewollte Botschaft.

 

Hier eine Konkretisierung

Wenn Texte in der Bibel von Krieg, Strafe, Rache oder göttlichem Zorn sprechen, ja sie wirken auf den ersten Blick schockierend. Wir sollten aber erkennen, dass diese aus einem bestimmten Zusammenhang heraus entstanden sind.

Viele dieser Texte stammen aus Zeiten, in denen Gewalt und Krieg zur politischen Realität gehörten. Die Völker des Alten Orients, so auch Israel, lebten in ständiger Bedrohung. Wenn also von Feinden, Kämpfen oder Vernichtung geschrieben ist, dann ist das oft Ausdruck dieser Zeitumstände.

Die Bibel ist kein modernes Geschichtsbuch, sondern eine Sammlung: Psalmen, Prophetensprüche, Gleichnisse, Visionen, Erzählungen usw. Manche Stellen, die gewalttätig klingen, sind Lyrik (ausdrucksstark) oder symbolische Bilder, also wie Rachepsalmen oder die Offenbarung des Johannes. Hier erkennen wir eine bildhafte Sprache, um bestimmte tiefere geistliche Wahrheiten auszudrücken. Es keinesfalls darum, Gewalt zu verherrlichen.

Und, was sehr wichtig ist. Viele Verse drücken definitiv echte menschliche Gefühle aus: Wut, Trauer, Enttäuschung, Angst, Hoffnung. So wie wir es selbst aus unserem Leben kennen. Die Bibel beschönigt die menschliche Wirklichkeit nicht, sondern beschreibt, wie sie wirklich ist. Sie lässt Menschen schreien, klagen, anklagen.  Die Psalmen sind ein sehr gutes Beispiel dafür: Sie enthalten oft radikale Worte. Wobei es aber nicht darum geht, zum Hass aufrufen. Vielmehr: Auch mit Zorn, dürfen wir vor Gott treten.

Die Bibel nimmt also unser Menschsein sehr, sehr ernst. Wie sonst würde es Sinn machen, dass die Bibel Zorn und Schmerz, Schuld und Strafe, aber auch die Sehnsucht nach Vergebung, Gerechtigkeit und Erlösung beim Wort  nennt.

Letztendlich steht aber immer: Versöhnung, Frieden und Erneuerung und Gottes Liebe im Vordergrund.