Bibel Lesen

Bedeutung der biblischen Texte

 

Wer sich mit der Bibel beschäftigt, stößt früher oder später auf zwei Begriffe, die ähnlich klingen, ja, aber ganz Unterschiedliches bedeuten: Exegese und Eisegese. Sie stehen für zwei ganz verschiedene Arten, die Bibel zu lesen und auszulegen und der Unterschied ist sehr entscheidend.

Exegese fragt: „Was sagt die Bibel?“

Eisegese fragt: „Wie kriege ich die Bibel dazu, das zu sagen, was ich denke?“

 

Eisegese entsteht oft unbewusst


Wir alle bringen unsere eigene Brille mit, wenn wir die Bibel lesen:

  • unsere Erziehung,
  • unsere Erfahrungen,
  • unsere Meinungen,
  • unser Zeitgeist.

Das ist menschlich, aber es birgt die Gefahr, dass wir nicht mehr wirklich zuhören, was der Text selbst sagen will. Wir machen die Bibel dann zu einem Spiegel unserer eigenen Meinung.

Das führt leicht zu: Verkürzungen („Der eine Vers sagt alles“); Wunschdenken („Gott will, dass ich reich bin – siehe…“); Fehlinterpretationen („Dieser Text unterstützt meine politische Meinung“); Missbrauch von Texten zur Rechtfertigung von Gewalt, Ungleichheit oder Ausgrenzung.

Beispiel:

Bibelvers:

„Ich vermag alles durch den, der mich stark macht.“ (Philipper 4,13)

Eisegese:

Also kann ich jede Prüfung bestehen, jede Karriere schaffen, jedes Ziel erreichen. Gott macht mich sozusagen unbesiegbar!

Exegese (also im Zusammenhang gelesen):

Paulus sitzt im Gefängnis. Er schreibt: „Ich habe gelernt, mit wenig und mit viel auszukommen. Ich bin stark – auch wenn ich schwach bin – weil Christus mir Kraft gibt.“

Die Botschaft ist nicht: „Ich kann alles haben“, sondern: „Ich kann alles durchstehen, weil Gott bei mir ist.“

 

 

 

 

Wichtig!

Kontext beachten: Lies nie nur einen Vers für sich allein. Frag: Was steht davor und danach? Wer spricht hier – zu wem – in welcher Situation?

Nicht sofort fragen: „Was bedeutet das für mich?“, sondern: Was bedeutete es für die Menschen damals? Wie dachten sie? Was bewegte sie?

Wenn der Text dich herausfordert, ärgert oder verunsichert:
Bleib dran. Gerade da beginnt echte Begegnung.

Es geht auch nicht darum, die Bibel so zu lesen, dass sie uns recht gibt, sondern vielmehr darum, dass sie uns fragt, formt und in Frage stellt. Denn die Bibel ist kein „Bestätigungsbuch“ – sondern ein Gesprächspartner. Sie will nicht immer das sagen, was wir hören wollen. Aber sie will das sagen, was wir brauchen, auch wenn es unbequem ist.

Die Bibel ist eine Einladung zum Dialog. Aber kein leeres Blatt, das wir füllen dürfen, wie wir wollen. Wenn wir sie ernst nehmen, dann lassen wir sie sprechen, genauso, wie sie gemeint war.

Beispiele:

 „Ich vermag alles durch den, der mich stark macht.“ (Philipper 4,13)

Hineinlesen: „Gott gibt mir die Kraft, sportlich erfolgreich zu sein, Millionär zu werden oder jedes Ziel zu erreichen.“

Was ist wirklich gemeint: Paulus schreibt das im Gefängnis. Er meint: „Ich kann mit allem leben – mit Mangel oder Überfluss – weil Christus mir innerlich Kraft gibt.“
Hier geht es geht um innere Stärke im Leid, nicht um äußeren Erfolg.

 

 „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Matthäus 18,20)

Hineinlesen: „Wenn zwei Christen zusammenkommen, ist automatisch Gott da, also ist alles, was wir dann beschließen, richtig.“

Was ist wirklich gemeint: Der Vers steht im Kontext eines Kapitels über Gemeindekonflikte und Versöhnung. Jesus sagt: Wenn ihr euch im Geist der Vergebung trefft, bin ich bei euch – gerade in schwierigen Situationen.
Es ist als Ermutigung zur Einheit in Konflikten gemeint.

 „Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter.“ (Epheser 5,22)

Hineinlesen: „Frauen müssen sich Männern bedingungslos unterordnen – Punkt.“

Was ist wirklich gemeint: Vor diesem Vers steht: „Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi.“ (Vers 21) Und danach: „Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Gemeinde geliebt hat – und sich für sie hingegeben hat.“

Es geht also um gegenseitige Hingabe und Verantwortung, nicht um ein Machtgefälle.

 „Denn ich kenne die Gedanken, die ich über euch habe … Gedanken des Friedens und nicht des Leides …“ (Jeremia 29,11)

Hineinlesen: „Gott hat einen perfekten Plan für mein Leben – alles wird gut, keine Krisen, keine Umwege.“

Was ist wirklich gemeint: Jeremia schreibt diesen Trostvers an ein Volk im Exil, das gerade Leid und Unsicherheit erlebt. Gottes Zusage lautet: „Auch in dieser schweren Zeit bin ich bei euch. Ich habe euch nicht vergessen.“

Es ist ein Wort an eine leidende Gemeinschaft, nicht ein Wohlfühlversprechen für persönliche Lebensziele.

Das Hineinlesen passiert oft gut gemeint, aber sie verändert die Botschaft.

Und was noch wichtig ist!

Viele lesen die Bibel, als wäre sie ein Gesetzbuch: Ein Katalog von Vorschriften, Dogmen, Regeln und Verboten. Aber das ist sie nicht.

Die Bibel erzählt eine Geschichte. Geschichten von Menschen und Gott. Geschichten voller Licht und Schatten, Zweifel und Vertrauen. Geschichten, die nicht immer eindeutige Antworten geben – sondern Lebensfragen aufwerfen.

Die Bibel ist kein „Handbuch zum richtigen Leben“ mit klaren Schritten wie:

„Tu A, dann geschieht B.“ Sondern sie lädt uns ein, Teil dieser großen Geschichte zu werden: Wo findest du dich in dieser Erzählung wieder? Was sagt dir dieser Gott in deinem Leben, heute, jetzt, hier?

Warum unterscheidet sich das Bibelverständnis – von Mensch zu Mensch?

 

Wir Menschen kommen doch aus unterschiedlichen Lebensrealitäten, Prägungen und Kulturen. Wir haben eigene Erfahrungen von Kindesbeinen an. Jeder bringt beim Lesen etwas Eigenes mit: Fragen, Erfahrungen, Hoffnungen, Ängste.

 

Und wenn man nun glaubt, die Bibel sei ein starres Regelwerk, passiert oft folgendes:

Man klammert sich an einzelne Verse („Da steht doch klar und deutlich…!“)

Man benutzt die Bibel, um andere zu korrigieren oder zu verurteilen.

Man übersieht den Zusammenhang, die Geschichte dahinter, die Vielstimmigkeit.

Und das genau kann dann zu Eisegese führen: Man liest nicht mehr was die Bibel sagt, sondern was man will, dass sie das sagt.

 

Wenn wir verstehen, dass die Bibel eine Geschichte ist, dann verändert das sehr vieles:

Dann geht es nämlich nicht mehr darum, Recht zu haben, sondern gemeinsam im Gespräch zu bleiben. Dann suchen wir nicht die perfekte Regel, sondern Gottes Stimme in der Geschichte. Dann erkennen wir: Glauben heißt nicht, alles zu wissen, sondern sich auf den Weg zu machen.

 

Die Bibel ruft uns definitiv auch nicht dazu auf, einander mit Bibelversen zu übertrumpfen.